BGH, Beschluss vom 28. Juli 2025 – II ZR 154/23 (Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. u.a. ./. Volkswagen AG u.a.)

Keine Verlegung des Verkündungstermins zur Wahrung der Möglichkeit eines Bestätigungsbeschlusses nach § 244 S. 1 AktG 

I. Einleitung

Der Bundesgerichtshof durfte sich im Rahmen einer aktienrechtlichen Anfechtungsklage unter Berücksichtigung einer Vielzahl von prozessualen Vorschriften (insbesondere § 227 Abs. 1 ZPO, § 559 Abs. 1 ZPO, § 296a ZPO, § 156 ZPO und § 148 Abs. 1 ZPO) mit der Frage der (potenziellen) Berücksichtigung eines noch nicht gefassten Bestätigungsbeschluss nach § 244 S. 1 AktG mittels eines Antrags auf Verlegung des Verkündungstermins nach Schluss der mündlichen Verhandlung beschäftigen. Im Mittelpunkt stand, ob der Bundesgerichthof in einem solch späten Verfahrensstadium das Revisionsverfahren so zu gestalten hat, dass der Aktiengesellschaft (noch) die Gelegenheit ermöglicht wird, einen Bestätigungsbeschluss gemäß § 244 S. 1 AktG fassen zu können, bevor das Verfahren über die Anfechtungsklage gegen den Ausgangsbeschluss rechtskräftig abgeschlossen ist.

Der Bundesgerichtshof hat – mit überzeugender Begründung – den Antrag auf Verlegung des Verkündungstermins abgelehnt und einer Aktiengesellschaft keine solche – prozessordnungswidrige – Möglichkeit eingeräumt, um so den Rechtsstreit zu Gunsten einer Partei noch zu beeinflussen.

II. Ausgangssituation

Der für diese Entscheidungsbesprechung relevante Sachverhalt bzw. die relevante Ausgangssituation ist kurz beschrieben:

Die Parteien des Rechtsstreits streiten über die mögliche Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen. Die vorherigen Instanzen haben die (Anfechtungs-)Klage abgewiesen bzw. die Berufung zurückgewiesen und das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen. Zwischen den Parteien war zum Zeitpunkt der Revisionseinlegung und der geltend gemachten Revisionsrügen über alle Streitpunkte des Verfahrens – u.a. die mögliche Verletzung von Informationspflichten im Rahmen der Bekanntgabe der Tagesordnung nach § 121 Abs. 3 S. 2 AktG und im Zusammenhang mit dem Auskunftsrecht von Aktionären nach § 131 Abs. 1 AktG – bereits in den Tatsacheninstanzen zentrale Auseinandersetzungen geführt worden.

Die beklagte Aktiengesellschaft wurde in der Revisionsinstanz im Termin zur mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die oben genannten Revisionsrügen damit konfrontiert, dass der Bundesgerichtshof zentrale Streitpunkte – anders als die Vorinstanzen – zu Gunsten der Klägerseite beantworten und damit der Rechtsauffassung der beklagten Aktiengesellschaft nicht gefolgt werden könnte.

Diese im Termin zur mündlichen Verhandlung mitgeteilte (vorläufige) Rechtseinschätzung des Bundesgerichtshofs hat die beklagte Aktiengesellschaft dazu bewegt, den Versuch zu unternehmen, mittels der Beantragung der Verlegung eines Verkündungstermins noch zu fassende Bestätigungsbeschlüsse als neuen Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren einzuführen, um so das Verfahrensergebnis zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Ob eine solchen beantragten Verlegung der Verkündungstermins zur Wahrung der Möglichkeit, gemäß § 244 S. 1 AktG einen Beschluss über die Bestätigung des im Revisionsverfahren angefochtenen Ausgangsbeschluss zu fassen, zu entsprechen ist, war bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Bis dato hatte der Bundesgerichthof im Zusammenhang mit einem Bestätigungsbeschluss nach § 244 S. 1 AktG lediglich entschieden, dass die Entscheidung über Wirksamkeit und Tragweite eines Bestätigungsbeschlusses in einem Parallelverfahren „vorgreiflich“ i.S.v. § 148 Abs. 1 ZPO und damit eine Aussetzung mit Blick auf einen Bestätigungsbeschluss nach § 244 S. 1 AktG zulässig ist. Anders als in den – dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28. Juli 2025 zugrunde liegenden Verfahren – liegt der entscheidende Unterschied daher darin, dass bereits ein entsprechender Bestätigungsbeschluss i.S.v. § 244 S. 1 AktG gefasst war.

III. Kernaussagen der Entscheidung

Kein Anspruch die Entscheidung des Rechtsstreits bis zur Fassung des Bestätigungsbeschlusses hinauszuschieben

Der Bundesgerichtshof konnte und durfte auf Grund entgegenstehender (zwingender) zivilprozessualen Vorschriften – jedenfalls nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Revisionsverfahren – dem Antrag auf Verlegung des Verkündungstermins nicht entsprechen.

Ausgangspunkt der Betrachtung ist, dass eine Verlegung des Verkündungstermins nur bei „erheblichen Gründen“ (§ 227 Abs. 1 S. 1 ZPO) in Betracht kommt. Die Absicht, durch eine Verlegung des Verkündungstermins zu ermöglichen – noch zu fassende – Bestätigungsbeschlüsse i.S.v. § 244 S. 1 AktG als neuen Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren einzuführen, stellt keinen solchen „erheblichen Grund“ dar, der etwa das Gericht verpflichtet, dem Antrag auf Verlegung des Verkündungstermins stattzugeben.

Denn zur Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 130 Abs. 1 GG) unter Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots war keine Verlegung der Verkündungstermins geboten. Gleiches gilt für eine denkbare Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 Abs. 1 ZPO.

Im Kern hat der Bundesgerichthof die beantragte Verlegung des Verkündungstermins mit folgenden Erwägungen abgelehnt:

  1. § 244 S. 1 AktG begründet keinen prozessualen Anspruch, die Entscheidung in einem Rechtsstreit hinauszuschieben, bis die Hauptversammlung den angefochtenen Beschluss – möglicherweise – bestätigt hat. Die Aktiengesellschaft muss eigenverantwortlich prüfen, ob die durch die Anfechtung hervorgerufene Schwebelage durch einen Bestätigungsbeschluss beendet werden kann und sollte.
  2. Zwar kann ein nach der letzten Tatsacheninstanz gefasster Bestätigungsbeschluss nach § 244 S. 1 AktG im Einzelfall grundsätzlich auch in der Revision berücksichtigt werden kann. Allerdings steht den möglicherweise – in einschränkender Auslegung von § 559 Abs. 1 ZPO – zu berücksichtigenden (und erst noch zu fassenden) Bestätigungsbeschlüssen der Schluss der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz entgegen (§ 555 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 296a S. 1 ZPO).
  3. Der Aktiengesellschaft muss auch nicht Gelegenheit eröffnet werden, einen (möglicherweise) noch zu fassenden Bestätigungsbeschlusses durch eine Widereröffnung der mündlichen Verhandlung § 555 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 296a S. 2 ZPO i.V.m. § 156 ZPO in das Revisionsverfahren einzuführen. Es bestand insbesondere keine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 2 ZPO, da es einerseits seitens des Revisionsgerichts vor der mündlichen Verhandlung im Revisionsverfahrens keines Hinweises i.S.v. § 139 Abs. 2 ZPO bedurfte, dass das Revisionsgericht sich möglicherweise der Ansicht des Prozessgegners anschließt, und anderseits keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) vorlag.

IV. Kritische Würdigung

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist mit aller Deutlichkeit zu begrüßen.

Eine bewusste Entscheidung im Rahmen einer (ordentlichen) Hauptversammlung, von einer Abstimmung über die Fassung eines (vorsorglichen) Bestätigungsbeschlusses nach § 244 S. 1 AktG abzusehen, darf nicht im Wege einer (prozessordnungswidrigen) Verlegung des Verkündungstermins „belohnt“ werden. Eine derartige – auch prozessuale – Nachlässigkeit rechtfertigt erst recht keine großzügige Handhabung der Vorschrift zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 ZPO.

Anknüpfungspunkt der Betrachtung ist die Vorschrift des § 559 Abs. 1 S. 1 ZPO. Danach ist die Berücksichtigung von neuem Tatsachenvortrag in der Revisionsinstanz grundsätzlich ausgeschlossen und nur der Prozessstoff der Berufungsinstanz zum Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung zu machen. Soweit diese gesetzgeberische Vorgabe ausnahmsweise einschränkend auszulegen ist, lagen die Voraussetzungen dieser Ausnahme in der vom Bundesgerichtshof entschiedenen Konstellation nicht vor (dazu näher unter Ziffer IV. 1). Die Berücksichtigung neuen Tatsachenstoffs muss sich zudem in die weiteren prozessrechtlichen Regelungen einfügen und findet daher ihre Grenze in § 555 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 296a ZPO (dazu näher unter Ziffer IV. 2). 

1. Voraussetzungen der Berücksichtigung eines Bestätigungsbeschlusses im Rahmen einer restriktiven Auslegung des § 559 Abs. 1 S. 1 ZPO

Obwohl der Revisionsinstanz lediglich eine Rechtskontrolle vorbehalten ist und der Entscheidung grundsätzlich der vom Berufungsgericht festgestellte Sachverhalt zugrunde gelegt werden muss, ist – in einschränkender Auslegung von § 559 Abs. 1 ZPO – anerkannt, dass in bestimmtem Umfang Tatsachen, die erst während des Revisionsverfahrens oder nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz eingetreten sind, in die Urteilsfindung einfließen können. Dies ist dann der Fall, soweit sie (i.) unstreitig sind oder ihr Vorliegen in der Revisionsinstanz ohnehin von Amts wegen zu beachten ist und (ii.) schützenswerte Belange der Gegenseite nicht entgegenstehen.

Hintergrund dieser einschränkenden Auslegung ist, dass der mit § 559 Abs. 1 ZPO verbundene Gedanke – der Konzentration der Revisionsinstanz auf die rechtliche Bewertung eines festgestellten Sachverhalts sowie der Entlastung des Revisionsgericht vor dem mit der Feststellung von neuem Tatsachenstoff verbundenen zusätzlichen Arbeitsaufwandes – an Gewicht verliert, wenn die Berücksichtigung von neuen tatsächlichen Umständen keine nennenswerte Mehrarbeit verursacht und die Belange des Prozessgegners gewahrt bleiben. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, dann ist es aus prozessökonomischen Gründen nicht zu verantworten, die Zulassung neuen Vorbringens im Revisionsverfahren zur Herbeiführung einer raschen und endgültige Streitbereinigung nicht zu berücksichtigen.

Richtigerweise hat der Bundesgerichthof in der vorliegenden Entscheidung ausdrücklich klargestellt, dass ein gefasste Bestätigungsbeschluss grundsätzlich auch nach Abschluss der letzten Tatsacheninstanz im Einzelfall berücksichtigt werden kann.

Damit hat sich der Bundesgerichtshof der in der Literatur herrschenden Ansicht angeschlossen, dass die materiellen Wirkungen des Bestätigungsbeschlusses nach § 244 S. 1 AktG dem Grunde nach in der Revisionsinstanz zur Geltung gebracht werden können. Insoweit gehen die Literaturansichten (wohl geringfügig) auseinander, dass ein Bestätigungsbeschluss nur unter den bereits anerkannten (vorab dargestellten) Voraussetzungen der einschränkenden Auslegung zu § 559 Abs. 1 ZPO oder – noch weitergehend – generell zur Entfaltung der materiellen Geltungswirkungen des Bestätigungsbeschlusses, in der Revision Berücksichtigung finden kann. Letztgenannte Ansicht wird überwiegend unter der Einschränkung vertreten, dass das Unterlassen einer früheren Bestätigung des Beschlusses für die Gesellschaft unvermeidbar gewesen sein muss.

Beseitigt die Hauptversammlung von sich aus einen Fehler des Ausgangsbeschlusses, so ist damit der Zweck erreicht, für den dem Kläger das Anfechtungsrecht gewährt worden ist. Solche Zweifel an der Gültigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses können beispielsweise auch erst nach der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts oder nach dem Erlass des Berufungsurteils entstehen, weil sich die Aktiengesellschaft erstmals durch einen ihr ungünstigen Ausgang des Berufungsverfahrens dazu veranlasst sieht, einen Bestätigungsbeschluss nach § 244 S. 1 AktG zu fassen.

Gleiches gilt, wenn die Aktiengesellschaft in der Berufungsinstanz zwar obsiegt, aber die Revision zugelassen wird. Dies gilt vor dem Hintergrund, dass die Rechtssache ab diesem Zeitpunkt erkennbar „grundsätzliche Bedeutung“ hat und/oder der „Fortbildung des Rechts“ oder der „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ dient. 

Daher erscheint es überzeugend, ausschließlich einen in der Revisionsinstanz bereits gefassten Bestätigungsbeschluss unter den Voraussetzungen der von der Rechtsprechung entwickelten einschränkenden Auslegung des § 559 Abs. 1 ZPO bzw. unter dem Gesichtspunkt, ob das Unterlassen einer früheren Bestätigung des Beschlusses für die Gesellschaft unvermeidbar war, zu berücksichtigen.

Die – unterstellte – Existenz eines bereits gefassten Bestätigungsbeschluss hätte daher auch im vorliegenden Verfahren eine „bedeutsame Tatsache“ darstellen können. Da ein solcher jedoch noch nicht vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz gefasst war (vgl. hierzu Ziffer IV. 2.) musste der Bundesgerichthof – mangels Entscheidungserheblichkeit – nicht auf die weiteren Voraussetzungen einer einschränkenden Auslegung von § 559 Abs. 1 ZPO im Zusammenhang mit einem Bestätigungsbeschluss eingehen.Der Bundesgerichthof musste nicht extra herausstellen, dass die bloße Ankündigung, die Abstimmung über die Fassung eines Bestätigungsbeschluss durch die Hauptversammlung herbeiführen zu wollen – selbst wenn diese Ankündigung vor Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt wäre –, im Zusammenhang mit der Möglichkeit der einschränkenden Auslegung zu § 559 Abs. 1 ZPO unbeachtlich ist.

Der hinter der einschränkenden Auslegung von § 559 Abs. 1 ZPO steckende Gedanke der Prozessökonomie ist nur gegeben, wenn die für diesen Ausnahmefall relevanten Tatsachen zumindest im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Rechtsstreits unstreitig vorliegen. Nur wenn ein Bestätigungsbeschluss unstreitig gefasst wurde, wird man ausnahmsweise zulassen müssen, dass die Aktiengesellschaft sich noch mit der Bestätigungswirkung nach § 244 S. 1 AktG verteidigen kann. Bei der Absicht eine Abstimmung über die Fassung einen Bestätigungsbeschluss fassen zu wollen, handelt es sich hingegen gleichermaßen um eine bloße Ankündigung sowie Mutmaßung im Hinblick auf mögliche Geschehnisse in der Zukunft, von denen noch nichts eingetreten ist:

  • Die Aktiengesellschaft hat (noch) keine (außer-)ordentliche Hauptversammlung einberufen, welche in dem Verfahren nach § 244 S. 1 AktG Bestätigungsbeschlüsse fassen soll.
  • Es ist fraglich, ob solche Bestätigungsbeschlüsse die erforderliche Mehrheit in der Hauptversammlung erhalten werden. Der (unsubstantiierte) Vortrag der Aktiengesellschaft, dass diese einen Bestätigungsbeschluss – möglicherweise trotz gänzlich anderem Sachverhalt und veränderten Mehrheitsverhältnissen als bei ursprünglicher Beschlussfassung über den Ausgangsbeschluss – antizipiert, ist nicht einlassungsfähig. Letztlich handelt es sich dabei um eine Mutmaßung, die auch nicht auf die vorangegangenen Mehrheitsverhältnisse bei der Beschlussfassung zum Ausgangsbeschluss gestützt werden kann.
  • Auch ist offen, ob im Anschluss eine Anfechtungsklage erhoben würden wird. Dies liegt nicht in der Hand der Aktiengesellschaft und ist noch spekulativer als die Fassung des Bestätigungsbeschlusses.


Die im vorliegenden Verfahren beantragte Verlegung des Verkündungstermins würde daher vielmehr der Verschaffung von Zeit dienen, um überhaupt und erstmals die potenzielle Grundlage für eine einschränkend Auslegung zu § 559 Abs. 1 ZPO in Gestalt eines Bestätigungsbeschlusses zu schaffen. Der mit der einschränkenden Auslegung von § 559 Abs. 1 ZPO verbundene Grundgedanke der Prozessökonomie, unter Berücksichtigung der Vermeidung eines – mit der Feststellung von neuem Tatsachenstoff zusätzlich verbundenen– Arbeitsaufwandes des Revisionsgerichts, wird gerade nicht erreicht. Eine rasche und endgültige Streitbeilegung würde gerade nicht erreicht werden. Vielmehr entstünde hierdurch eine nicht vertretbare, mit dem Zweck des Verhandlungsschlusses nicht zu vereinbarende, Rechtsunsicherheit darüber, wie es mit dem Verfahren weitergeht.

2. Keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zur Einführung eines Bestätigungsbeschlusses in der Revisionsinstanz

Wie der Bundesgerichthof zutreffend ausführt, konnte in der vorliegenden Konstellation die Behauptung, ein Bestätigungsbeschluss habe dazu geführt (bzw. werde potenziell dazu führen), dass die Anfechtung gemäß § 244 S. 1 AktG nicht mehr geltend gemacht werden kann, nicht mehr als neue Tatsache vorgebracht werden.

Denn die Berücksichtigung neuer Tatsachen, auch jener die erst während des Revisionsverfahrens oder nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz eingetreten sind, ist nach Schluss der mündlichen Revisionsverhandlung nach § 555 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 296a S. 1 ZPO unzulässig. Rein denklogisch handelt es sich dabei in der Revisionsinstanz nur um solche Tatsachen, die potenziell – in einschränkender Auslegung von § 559 Abs. 1 ZPO (vgl. hierzu Ziffer IV. 1) – in der Revisionsinstanz Berücksichtigung finden könnten.

Dies muss erst recht für beabsichtigte/angekündigte Vorbereitungshandlungen – insbesondere der Einberufung der Hauptversammlung und die Beschlussfassung mit den erforderlichen Mehrheitsverhältnissen – und damit im Hinblick auf Tatsachen, deren Eintritt ungewiss ist (vgl. hierzu Ziffer IV. 1 b)), gelten.

Auch die über die Normkette § 555 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 296a S. 2 ZPO i.V.m § 156 ZPO denkbare Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz schied in der vorliegenden Konstellation – zu Recht – aus. Eine Wiedereröffnung, für den Zweck neuen Tatsachenstoff erst zu schaffen und anschließend einzuführen, ist der Zivilprozessordnung systemfremd.

Eine Pflicht zur Wiederöffnung besteht von Amts wegen gemäß § 156 Abs. 2 ZPO, wenn eines der dortigen Regelbeispiele vorliegt. Denkbar sind vor allem mögliche Verletzungen der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) oder einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

Eine denkbare Verletzung der Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO, an die man möglicherweise denken könnte, war schon deshalb vorliegend nicht einschlägig, weil es bei der rechtlichen Beurteilung von möglichen Anfechtungsgründen nicht um Gesichtspunkte handelte, welche die Parteien erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hatten. In solchen Fällen gilt, dass die rechtliche Einschätzung zu den zentralen Streitpunkten, über die die Auseinandersetzung geführt wird, vom Revisionsgericht abweichend zu den Vorinstanzen und zu Gunsten der anderen Partei ausfallen kann. Im Hinblick auf die zentralen Streitpunkte des hiesigen Verfahrens – die auch Gegenstand der Revisionsrügen waren und bereits im Berufungsverfahren vorgebracht wurden – musste die in den Vorinstanzen siegreiche beklagte Aktiengesellschaft naturgemäß damit rechnen, dass sich das Revisionsgericht der Ansicht des Prozessgegners – jetzt, in der Revisionsinstanz – anschließen könnte.

Den Ausführungen des Bundesgerichthofs ist somit uneingeschränkt zu folgen:

Eines Hinweises, dass gewisse Aspekte im dritten Rechtszug ebenfalls von Bedeutung sein könnten, bedarf es gegenüber der (durch einen Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof vertretenen) Partei regelmäßig nicht mehr. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Gerichte nach Art. 103 Abs. 1 GG ausschließlich verpflichtet, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist nahezu eine Selbstverständlichkeit, dass die Parteien nach Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anspruch darauf haben, dass die Gerichte ihre Würdigung des Sachverhalts und der Rechtslage übernehmen.

Unter Berücksichtigung der Wertung von § 244 S. 1 AktG sowie des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist im Hinblick auf eine etwaige Pflicht zur Wiedereröffnung nach § 156 Abs. 2 ZPO (und auch die Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO) auch kein strengerer Maßstab anzusetzen. Der Aktiengesellschaft muss nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz keine gesonderte Gelegenheit gegeben werden, einen Beschluss gemäß § 244 S. 1 AktG erst noch zu fassen, bevor das Verfahren über den Anfechtungsanspruch rechtskräftig abgeschlossen ist.

Auch in diesem Zusammenhang führt der Bundesgerichthof zutreffend aus, dass der Gesetzgeber der Aktiengesellschaft lediglich die Möglichkeit einräumt, eine mit einer Anfechtungsklage verbundene Ungewissheit bezüglich eines Hauptversammlungsbeschlusses durch das Instrument der Bestätigung des angefochtenen Beschlusses zu beseitigen. Dies führt dazu, dass die Aktiengesellschaft durch die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses Anlass hat, eigenverantwortlich zu prüfen, ob die durch die Anfechtung hervorgerufene Schwebelage durch einen Bestätigungsbeschluss beendet werden kann und beendet werden sollte. Unterlässt die Aktiengesellschaft diese Prüfung und/oder entscheidet sich die Aktiengesellschaft proaktiv dafür, nicht mittels Beschlussfassung nach § 244 S. 1 AktG auf den über den Ausgangsbeschluss anhängigen Anfechtungsrechtsstreit Einfluss zu nehmen, dann besteht kein prozessualer Anspruch darauf, die Entscheidung in diesem Rechtsstreit hinauszuschieben, bis die Hauptversammlung den angefochtenen Beschluss bestätigt hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG begründet insbesondere auch keinen Zwang ein Verfahren bereits „im Vorgriff“ – im Rahmen einer vorgezogenen Entscheidung nach § 148 Abs. 1 ZPO oder unmittelbar unter Berücksichtigung der Wertung des § 244 S. 1 AktG – auszusetzen.

Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung kam auch nicht in Ausübung des gerichtlichen Ermessens nach § 156 Abs. 1 ZPO in Betracht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, nicht dazu dient, mögliche prozessualen Nachlässigkeiten auszugleichen. Der Bundesgerichthof hat in Bezug auf den konkreten Fall exakt herausgestellt, dass eine Wiedereröffnung nach § 156 Abs. 1 ZPO entsprechende prozessuale Nachlässigkeiten „belohnen“ würde. Es war insbesondere nicht ersichtlich, dass die Aktiengesellschaft nicht in der Lage war oder ihr es nicht zumutbar gewesen wäre, bereits früher – jedenfalls vorsorglich – Beschlüsse über die Bestätigung der angefochtenen Hauptversammlungsbeschlüsse zu fassen. Eine solche Beschlussfassung wäre jedenfalls in dem Moment zumutbar gewesen, in welchem die Revision zugelassen wurde.

Denn das Unterlassen einer früheren Bestätigung des Beschlusses ist für eine Aktiengesellschaft nicht unvermeidbar. Es handelt sich vielmehr um eine bewusste Entscheidung der Aktiengesellschaft, in der Vergangenheit keine Bestätigungsbeschlüsse nach § 244 S. 1 AktG auf die Tagesordnung gesetzt zu haben, um vorsorglich Zweifel an der Wirksamkeit des Ausgangsbeschlusses zu heilen. Im Klartext:

In einen solchem Fall wurde es schlicht versäumt, einen entsprechenden Bestätigungsbeschluss früh- und rechtzeitig im Rahmen einer ihrer nachfolgenden (ordentlichen) Hauptversammlungen zur Abstimmung zu stellen.Spätestens in dem Zeitpunkt, als die Revision zugelassen wurde, hätte die Aktiengesellschaft entsprechende Anstrengungen unternehmen müssen und können, einen Bestätigungsbeschluss herbeizuführen. Sofern ein Revisionszulassungsgrund vorliegt, kann die Aktiengesellschaft nicht ernsthaft davon ausgehen, dass eine Anfechtbarkeit des (Ausgangs-)Beschluss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausscheidet und der Bundesgerichtshof die gleiche Rechtsauffassung wie die Instanzgerichte vertritt.

V. Praxishinweise

Für die Praxis lassen sich folgenden entscheidende Punkte festhalten:

i. Spätestens zum Zeitpunkt der Zulassung der Revision sollte und muss die Aktiengesellschaft – selbst wenn die vorherigen Instanzen ihrer Rechtsauffassung gefolgt sind – nochmals eigenverantwortlich prüfen, ob die durch die Anfechtungsklage hervorgerufene Schwebelage mittels eines Bestätigungsbeschluss nach § 244 S. 1 AktG beendet werden kann. Von einer solchen Möglichkeit sollte und muss – zumindest vorsorglich – rechtzeitig Gebrauch gemacht werden.

ii. Schlicht darauf zu vertrauen, dass der Bundesgerichtshof der eignen Rechtsansicht sowie jener der Instanzgericht folgt, ist grundsätzlich nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu vereinbaren sein (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG). Um den Vorwurf der Pflichtwidrigkeit zu vermeiden, bedarf es jedenfalls einer gut dokumentierten Abwägung der Entscheidung des „Für und Wider“, aus welchen Gründen das Absehen einer Herbeiführung der Abstimmung der Hauptversammlung über einen (vorsorglichen) Bestätigungsbeschlusses – zum Zeitpunkt der Revisionszulassung – dem Gesellschaftsinteresses dienen sollte (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG). 

Ob das Unterlassen aus ex-ante Perspektive vorliegend überhaupt zum Wohle der Gesellschaft gewesen sein kann, dürfte allerdings mehr als fraglich sein. Auch sollte sich in Bezug auf die Frage der Anfechtbarkeit der Ausgangsbeschlüsse ein entsprechender Rechtsrat eingeholt werden. Dieser ist eigenständig von der Geschäftsleitung im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf Plausibilität prüfen, um auch dem Vorwurf eines mangelnden Verschuldens entgegenzutreten können. Soweit eine rechtliche Prüfung nicht auf die – jedenfalls vorsorgliche – Möglichkeit der Bestätigungswirkung von § 244 S. 1 AktG hinweist, dürfte ein entscheidender Aspekt im Rahmen des Rechtsrats unberücksichtigt geblieben sein.

iii. Aus letztgenanntem Grund ist es im Rahmen der aktienrechtlichen Beratung des mandatierten Anwalts essenziell, auf die Möglichkeit von § 244 S. 1 AktG hinzuweisen und den Rat zu erteilen, dass ein solcher Bestätigungsbeschluss – zumindest nach Zulassung der Revision – nach Möglichkeit und vorsorglich gefasst werden sollte.

Köln, den 29. September 2025

Dr. Oliver Wilken | Luca Forresu